4.v.l.: Melem; 2.v.l.: Petermandl; dazw.: Mütter – Pfarrheim Münichholz, 1983
Melem, Petermandl, Mütter spielen ein Konzert, Dixie, die Nummer Cabaret (oder ist es Hello Dolly?), es ist ein großer Saal, ja, eine prall gefüllte Halle, aber wir stehen unter der Bühne, ungefähr dort, wo bei einem Boxkampf die Ringrichter sitzen, eng ist es, zwischen dem in Brusthöhe über uns sitzenden Publikum und der fast orange holzvertäfelten Wand, es muss ein Bau aus den späten Siebzigern sein, ist kaum Platz für den Kontrabass oder gar zum bei dieser Musik unerlässlichen weiten Ausfahren des Posaunenzugs, und bald schon machen wir Pause, eine sehr lange Pause, denn Petermandl will erst weiterspielen, wenn er die eben, gut zwanzig Minuten nach Beginn der Pause bestellten Spaghetti Bolognese bekommt, die Nudeln werden aber erst in ein paar Minuten ins jetzt noch nicht kochende Wasser gegeben werden, dann will er sie noch genüsslich und also gemütlich essen, vielleicht noch ein Zigarrillo hinterher, mittlerweile wird das Publikum unruhig, sie beginnen uns hereinzuklatschen, aggressiv klingt das, Petermandl ist davon komplett unbeeindruckt, ich renne nervös hin und her, bitte Petermandl inständig, hinauszukommen, flehe ihn an, schließlich kommt er, ich weiß nicht warum auf einmal, doch, und wir treten in die Halle, sarkastischer, ja, zähnefletschender Applaus empfängt uns, – so wie am Flughafen von Teneriffa, Süd, als das Gepäckförderband für den Flug aus Nürnberg nach einer dreiviertel Stunde kurz anlief, natürlich vergebens, denn es stockte gleich wieder, und der ganze Urlaub selbst drohte kollektiv versäumt zu werden, zusammen mit den aus drei anderen Flugzeugen von Glasgow, London Stansted und Göteborg Eingetroffenen, die sich als jeweils zusätzliche Schale um das Band scharten, sodass kein Durchkommen war, weder vom noch zum mit regenbogenfarbenen Kofferbändern individualisierten Gepäck, das, da das Band mit der unseligen Nummer drei stand, ohnehin nicht daherkam, unterdessen links und rechts die Bänder eins, zwei und vier prächtig funktionierten in dieser stickigen und vielzukleinen Gepäckförderbandhalle, es fand sich eine Handvoll beherzter Urlaubssenioren, die konnten jedoch auch niemand ausfindig machen, dem man die Schuld für das Versagen genau des Nürnberger Gepäckförderbandes hätte geben können, – jetzt aber ist es klar, dass wir selbst verantwortlich sind für diese aufs arroganteste überzogene Pause, empörter Hohn empfängt uns, als man, kaum ist die Tür von der Kantine in den Saal einen Spalt geöffnet, merkt, dass wir in Richtung der sogenannten Bühne unterwegs sind, – es ist wie beim Auftritt eines Dirigenten im Musikverein, wo es einen Wettbewerb zu geben scheint, wer im Publikum den Maestro als erstes erspäht, oder gibt es eine Funkverständigung vom Künstlergarderobier an einen natürlich Schmiergeld zahlenden Klatschfavoriten, oder ist der Künstlergarderobier ihm, dem Klatschfavoriten sexuell hörig und also anderweitig erpressbar, Tatsache ist, dass der Maestroersterspäher das Applausschneebrett mit seinen Handflächen lostreten darf, – beim Hinausgehen zu dieser sonderbar versenkten Bühnenzumutung stehen Leute im Weg, die sich, das merken wir unmittelbar, überhaupt nicht für unsere Musik interessieren, und während ich abseits vom Mikrophon ein paar Einblasetöne anspiele, fragt mich einer von denen, wie das geht mit dem Posaunenziehen, er greift mir in den Zug, unerträglich ist das, ich versuche, ihn mit dem Posaunenzug wegzurempeln, das beeindruckt ihn aber nicht, ich zetere, nur weil Sie von den Lions sind, brauchen Sie deswegen noch lange nicht glauben, dass Sie ein Anrecht haben, so respektlos zu stören, Sie können beim Niki Lauda ja auch nicht ins Cockpit gehen und an seinen Hebeln und Schaltern umrühren, lassen Sie mich gefälligst in Ruhe!, das ist ihm aber wurscht, endlich fangen wir doch zu spielen an, natürlich wieder Hello Dolly (oder ist es Cabaret?), jedoch kaum haben wir ein paar Takte gespielt, läutet Melems Mobiltelefon, und was macht er, der geht doch tatsächlich ran, umständlich, als müsse er erst die Telefonschnur entwirren, aber ein Handy hat ja gar kein Spiralkabel, ausgiebig und ausladend telefoniert er, völlig schamlos und unbeeindruckt, Petermandl lässt seine Trompete sinken, nimmt zunehmend Anteil an Melems Telefoniererei, abwechselnd runzelt er die Stirn, lacht auf und bestätigt oder verneint gestisch die mir, der Zusammenhänge unkundig, sinnlos erscheinenden telefonischen Abmachungen, mit einem Mal kommen mir die beiden vor wie die Gehilfen des Landvermessers K., unterdessen versuche ich, zu retten, was gar nicht zu retten ist, niemand aber scheint meinen guten Willen zu brauchen oder gar zuhören zu wollen, alles ist vergebens, und den Kollegen (bitte, was sind das für Kollegen?) ist es natürlich auch komplett egal, dazu kommt, dass mein Ton auf der Posaune jetzt nach feuchtem Pappendeckel klingt, er fühlt sich an, als hätte ich den Brei von zehn Fredikeks im Mund, während ich, natürlich vergebens, versuche, dem schamlos plaudernden Publikum die Zeit bis zum Ende von Melems Telefongespräch mit sensiblen Posaunenspaltklängen zu überbrücken, das misslingt vollkommen, und mit schalem Geschmack im Mund gehe ich aufs Häusl, unzufrieden, es nicht geschafft zu haben und trotzdem dankbar, erwachen gedurft zu haben.
Draußen regnet es.
Frohe Ostern.
5.v.l.: Melem; 3.v.l.: Petermandl; dazw.: Mütter – röda, 28.1.2006