dsudl

dsudl – das schwere und das leichte (2011)
Ein Stück Musiklaboratorium von Bertl Mütter
Produktion der styriarte in Kooperation mit der Kunstuni Graz1

so leicht – so schwer!

Wer das Schwere sucht, dem wird es schwer
Thomas Mann, Doktor Faustus2

Wenn man’s kann ungefähr
Ist’s nicht schwer, ist’s nicht schwer
Der Zigeunerbaron

Ich bevorzuge schöne Ergebnisse
Bertl Mütter


Irena Yebuah Tiran, Primadonna (Mezzosopran)
Matthäus Schmidlechner, davidisch-beckmessernder Zampanò (Tenor)
Markus Sepperer, Englischhorn, Oboe
Ulrich Drechsler, Bassklarinetten
Bertl Mütter, Posaune, Stimme; Spielertrainer
Ernst Kovacic, Violine
Peter Sigl, Violoncello
Franziska Fleischanderl, Salterio, opt. Sopran
Miki Skuta, Klavier


Fliegen, das ist natürlich seit ehundje das schwerste, aber abheben, so leicht geht das (wie auch sonst?). Denn selbst der ganz große Airbus hebt ab, und natürlich auch die Wiener Philharmoniker, dieser Supertanker, die heben ab, zumindest (um lebende nicht durch Namensnennung bzw. Nichterwähnung zu kompromittieren), wenn Kleiber sie dirigiert, zu Neujahr, da schweben sie regelrecht, tändelnd und tänzelnd noch dazu.

Wie schwer also ist das Leichte, wie schwer das Schwere (vor allem, wenn sich herausstellt, dass manches aus Pappmaché sein könnte)? Und: umgekehrt? – wie schaut es also aus mit dem (möglicherweise gar nicht so) Trivialen?

Es ist doch so: Oft führen komplexe Gedanken zu banalen Ergebnissen, oder umgekehrt, banale Gedanken führen zu komplexen Ergebnissen. Weiters können auch komplexe Gedanken zu komplexen Ergebnissen führen oder banale Gedanken führen zu banalen Ergebnissen.

Bertl Mütter untersucht in seinem Ensemblewerk auf mannigfache Weise Fragen zur Kreativität und zur Virtuosität: Was denn das sei, wie damit umgehen, wie sie (die Virtuosität, ja, auch die Kreativität!) umgehen, sich fallen lassen, reagieren auf eine augenblicklich sich ändernde Situation…

Sinnlich lustvolles Forschen, Kunst als (fröhliche) Wissenschaft lautete die Devise, serious fun, und meine MitspielerInnen sind allerdings mit allen Wassern gewaschen; sie mussten sich aber auch, trotz der hochsommerlichen Temperaturen, warm anziehen, wurde ihnen doch allerhand abverlangt an Wachheit und Agilität, beim Spielen, im Augenblick.

Und nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.

Gestellt oder nicht? Im Dom, das Bild hat Klaus Fritsch gefunden.


dsudl – eine Begriffswolke (in kleinschreibung)
weberknechtgleich verspreizt erwachte er frühmorgens, es drängte ihn. nur dass er eben nicht über die geringe masse und auch nicht über die masseverhältnisse so eines nichtnetzbauenden spinnentieres verfügte. genauer überlegt war es dann doch eher ein gefühl, als wäre er ein sich komplex verzahnt habender großbagger, der vier oder mehr stehkrallen braucht, damit er sich auf unwegsamem, stets unsicherem grund verankern kann, um derart etwa einen großabriss (umbauter raum bis zu 500.000 m3!) vornehmen zu können. es galt also, vorsichtig, damit nichts einstürzte, sich der ausgelegten arme und beine (zumindest vier!) inne zu werden und dann, mit genauester vorausplanung und bedächtigst sein gewicht so zu verlagern, dass, unter zuhilfenahme eines gewissen muts, erst einmal eine extremität vorsichtig abgehoben werden konnte, wobei tunlich darauf zu achten war, tatsächlich jenes bein oder jenen arm zu bewegen, den man unter zusammennahme aller gedankenkraft anzusteuern vermeinte. dann leicht verändern, nicht zuviel, wieder niedersetzen und, vorsichtig, das gewicht verlagern, aah. (…) na bitte, war ja gar nicht so schwer! jetzt das zweite bein, dann kommt die erste positionsänderung. (…) | binnen nicht einmal einer viertelstunde war er im bad. | wälzen – hanteln – tänzeln – trapez (erstes leid) | die aleatorische polyphonie der saalhuster | schwere träume … | die zeitlupe, im traum, mit der alles auf die unausweichliche katastrophe zutreibt, die handbremse, die du zuerst nicht findest und die dann nicht greifen will (diese vergeblichen tätigkeiten machst du, insektennervös, in verzweifelter hast), dieses auseinanderdriften der zeit auf zwei simultanen wahrnehmungsebenen ist nur dazu da, dass dich das entsetzen auch wirklich durchunddurch hat, sodass du, im idealfall, als völlig gesättigte lösung aufwachend hochfährst und zugleich matt und gelähmt nichtundnicht aufkannst, als hätten sie dir was gespritzt. | … verdammt, er kannte den film, und er unterschied sich jeweils nur um details, der plot war jedesmal identisch. wann würde er endlich begreifen, dass man nachts keine nudeln mehr essen soll? er war doch kein bub mehr. | noch schlimmer aber war es, als das aufwachen unterblieben war. trotzdem wurde die erinnerung später zuverlässig ins traumregal gestellt, dort war sie auch sicherer. | schneid dir die pulsadern der ungeduld auf, es ist ja nur ein kleiner schnitt und tut auch nicht weh, dann rinnt diese überdrucksungeduld heraus, wärmend ist das, beglückend, und im gegensatz zum suizidalen badewannentango überlebst du nicht nur, nein, du lebst neu auf, es ist ein aderlass des überdrucks, du wirst gelassener, achtsamer, und dein hirn produziert weniger spaghetti – oder geradesoviel wie du verzehren kannst, ohne dass du diese schweren nudelträume haben musst zum morgen hin. | wache ruhe. | wir trinken keinen alkohol: weder schweren wein noch die beliebten leichten sommerspritzer. | pesante | leggeremente | schwerhörig | streng subjektiv! (subjekt ist, wer sich als träger einer serie von übungen betätigt – slot, dmdle 248) | das mit dem einhändigen klatschen | üben im religiösen sinn: der behauptete (glaubengewollte) beweis der überschreitung des unmöglichen. erst wenn das erreichte (erinszenierte) unmöglich ist, beginnts interessant zu werden. | schwellend | hebend | schlaf du nicht, wenn der neigung stimme spricht | unsere kunst ist ein von der wahrheit geblendet-sein: das licht auf dem zurückweichenden fratzengesicht ist wahr, sonst nichts. kafka | training | üben | wir müssen üben | wir wollen üben | prolog: einspielen | epilog: einspielen | (wittgenstein) … der seltene fall eines inversen akrobaten, dem das leichte schwieriger erscheint als das unmögliche. slot 211 | steigere es bis ins unmögliche. weiter! | generalscordatura! | torso, perfektion des bruchstücks slot 40 | levitation | mir ists als wie im traum | übung: auf beiden ohren schlafen | variante: schließ ein ohr (willentlich) | gelsenfolter (1/nacht) | mit moskitonetz ist die folter eine auf gegenseitigkeit. | variante: das schweigen der sirenen | bei schlafsicherung durch ohrstöpsel | variante: gelse im netz – etwas mehr alkohol beim zubettgehen – fester schlaf – alle zufrieden (morgens rückernte aus dem dann für das insekt doch recht heimtückischen netz, einreiben von blut und insekt zusammen im ziegelfarbenen boden | … nonverbale sprachen als (theologische, also) wissenschaftliche sprachen wieder zulassen. (philipp harnoncourt) | der gewöhnliche trainer ist derjenige, der will, dass ich will; der spirituelle trainer ist derjenige, der nicht will, dass ich nicht will. er ist es, der mir abrät, wenn ich aufgeben möchte. slot 132 | (cioran,) seinem ethos nach war er ein mann der exerzitien, ein artist, der aus der trägheit eine nummer machte, aus der verzweiflung eine apollinische disziplin, aus dem sich-gehen-lassen eine etüde in beinahe klassischer manier. slot 131 | üben, scheitern, besser scheitern. | müßiggang | exercises négatifs | unbrauchbarer sein als ein heiliger. cioran – slot 128 | indem du am leichten übst, trainierst du dir – quasi komplementär – schweres an. vgl. kafka, erstes leid – slot 111 | schwerwiegendes | die gewichter (die wuchter) der welt sind leicht, sie werden in der offenen hand abwägend geprüft | gustafsson, verzeichnis der kunstarten nach ihrem schwierigkeitsgrad | verkehrt von ›am leichtesten‹ bis ›am schwersten‹ – nachgestellt oder (spannender!) parallel ›die kunst, schmerzen zu ertragen‹. | hungerkünstler, schwere kunst bei leichtester kost. | allg. die frage nach der askese | áskesis = übung, training | ein musiklaboratorium in x übungen | ad übung: slot 14 | prinzip wippschaukel | wo bzw. wie der hebel … wo die achse? | kitsch des schweren | kitsch des leichten | inwieweit ist arvo pärt (paolo coelho …) kitsch? | inwieweit ist peter brötzmann kitsch? | noch bevor man uns vergessen wird, werden wir in kitsch verwandelt. der kitsch ist die umsteigestation zwischen dem sein und dem vergessen. | kundera, dulds, 265 | leichter sein als luft. nach parmenides ist dies die verwandlung vom negativen ins positive. 261 | wer sein gesicht wahren will, muss der reinheit des eigenen kitsches treu bleiben. 250 | aus der diskussion (impulsfrage – publikum als juror: »war das jetzt wirklich schwer?« etc.) heraus durch sprachimitation brabbeln tutti ohne stimmen (und zwar lange, 5 minuten – quasi gespiegelt) | verwandlung der musik in lärm — und zurück | aussageprall – gefühlsintensiv | santer, der mann, der winnetous schwester erschoss – mario adorf: »ein lebenslanger makel! ich habe generationen von kindern erschreckt.« (und lacht auch noch dabei!) | alles was berieselt, gelangt ins grundwasser. | andere kontinuierliche übergänge: (de)crescendo, rubato, vibrato – nonvibrato i. ggs. zum abrupten | subversives argumentieren … | im singen dichten (vgl. homer) | glossolalein | der stumme gesang der lufthunde | das geräusch-das-man-macht-bevor-man-anfängt-zu-dichten | ruhe vor allen imperativen 224 | imponderabilien | ballonmusik | ballon (schwebend; materialgewicht vs. füllung – heiße luft od. gas; anfeuergeräusch), seifenblase | kugel – größtes volumen bei geringster oberfläche | sie wiederholte alle seine gesten mit der präzision eines spiegels. 196 | (zampanò) | um seine gedanken zu unterstreichen, hebt er immer wieder den zeigefinger, als wollte er dem publikum im saal drohen. 122f | ein stein so schwer, dass nicht einmal gott ihn aufheben kann. | allmachtsparadoxon | steinplatten auf den gräbern: man will nicht, dass die wieder rauskommen! | dsudl … und das schöne!? | was ist schönheit? | die schönheit verbirgt sich hinter den kulissen. um sie zu finden, muss man die kulisse zerreißen. 107 | die gabe, schweres in leichtes umzuwandeln (zeugt von imponierender vitalität) 102 | verstand und wille (tag) vs. phantasie und träumerei (nacht) 58 | schwindel ist etwas anderes als angst vor dem fall. 59 | das hinfallen, als aktive tätigkeit. | spezifisches gewicht | auftrieb | luftwiderstand | feder – kugel | ballon (groß) | luftballon (kaum trägheit) | zufallsstufen mit varianten | es muss sein – aber es könnte auch ganz anders sein … | hell – dunkel – das halbdunkel | gewichtsneutral | etwas gleiches unter den entgegengesetzten umständen (tag-nacht etc.) tun. | körperlosigkeit – levitation | körper – seele (der rest, der nach abzug all des körperlichen übrigblieb) | rauchgewicht | schwer wiegende entscheidungen sind meist nicht lange vorher anvisierte. lebensentscheidend ist etwa vorne oder hinten in der straßenbahn einzusteigen. | staub als das leichteste … | brownsche molekularbewegung – fliegenflug (vgl strq) – vl, vc, eh, bcl + prd vs. gravitätisches gleiten (manta) | p, tb, hb + zam | aus doppelgänger entwickeln | dann instrumentenrollen tauschen | siehe gsaller, zack: unterhalb der glühbirne fliegen fliegen formation | rollen: hackbrett = elfe | fieberfelsen | staub … lurch braucht keim zum sich konstituieren | ist das leichteste, definiert durch schwebefähigkeit als conditio sqn. | zeitstillstand | haushofer … | meistersinger quintett | aspekte und szenarien | – es sich leicht(er) machen | – es sich schwer machen | »doch dann geschah etwas unvorhersehbares …« | hommage à peter alexander | klavierjazzimprov + bcl | sehr swingig, aber nie exaltierend ins orgiastische, triebhafte (und wenn es ausufert, werden sie von mir bzw. zam zurückgepfiffen — also bitte: ausufern!) | eine perseveration erzeugen | also einen penetranten ohrwurm als running gag. | sinnvoller zufall | koordinierte ereignisse | akausale synchronizität | abheben | solange du nicht zu steigen aufhörst | hören die stufen nicht auf | unter deinen steigenden füßen | wachsen sie aufwärts | schluss 2. bzw. 8. mahler | kurtág, játékok, perpetuum mobile | (objet trouvé) | auf andere instrumente übertragen? | assoziation als zentrale künstlerische ressource | valentin gloor | eindimensionale deutungsweisen vermeiden | als problem aber auch des deutenden | dorschel | dekontextualisierung | das publikum wird baff überrascht | die unmittelbare wucht des kunstwerks!!! | erleben – erfahren – erst dann denken | spiel ein sehr schweres stück | spiel ein sehr leichtes stück | spiel ein sehr schönes stück | kreiere eine idylle! | hummeln können, so es nach der wissenschaft geht, nicht fliegen. sie sind zu schwer, die flügel zu klein. der vorteil der hummeln besteht indes darin, dass sie dies nicht wissen. | einmal kann ich schreiben | einmal kann ich nicht schreiben | auf einmal kann ich schreiben | auf einmal kann ich nicht schreiben | einmal kann ich etwas aufschreiben | einmal kann ich etwas nicht aufschreiben | so wird es bleiben | so wird es nicht bleiben | ernst jandl, idyllen, 1989 (seite 24) | gsaller, zack! (1995) | der himmel ist hoch, braucht dazu aber einen menschen – geigensolo? | federball – luftballon – medizinball | kafka turnt sehr gut am seil. | max brod, 9.9.1911 | der dom belästigt mit seinen vielen spitzen. | franz kafka, 1.9.1911 | gespräch über scheintod und herzstich an einem kaffeehaustischchen auf dem domplatz. mahler hat auch den herzstich verlangt. | franz kafka, 1.9.1911

Wer sich für die Partitur interessiert, kontaktiere mich einfach.3


  1. Zentrales künstlerisches Werk im Rahmen meines Doktoratsprojekts (2010–2013)
  2. (zitiert aus dem Gedächtnis, befüllt 1990)
  3. Generell gilt:

    Jede Aufführung dieses Werks ist mittels Einzelprogramm der zuständigen Urheberrechtsgesellschaft (AKM, GEMA etc.) anzuzeigen (keine Sammelprogramme).
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