Giftkübel

Es nützt nichts, irgendwas zu verbergen. Die Archive des Internet sind unerbittlich. Alstern, bittesehr!1

Ich war jung und hätte das Geld2 brauchen können: Seniorenclub, 1987.

Der Solist an Posaune und Klobesen bin ich.


Dabei hätte alles so hoffnungsfroh begonnen.

Rares Material, in echt. Und weil’s so schön ist, noch eines:

Gardenschlauch, Anfang der 80er-Jahre weltberühmt in Steyr, auf der ganzen Höhe seiner Virtuosität: Zauberhaft überhudelt der für die Hälfte des Namens Pate stehende ›Royal Garden Blues‹, sowie das unvermeidliche ›When The Saints‹. Ich blicke auf diese Zeit mit gelassener Dankbarkeit: Da hatte etwas begonnen. Wohin und wie es weitergehen würde, konnte keiner ahnen, und das ist ja das Gute an allen Anfängen.


Noch ein legendäres Tondokument, von meiner ersten3 USA-Tournee. Kenner horchen auf, wenn ich verlaute, dass es es sich um den berühmten Widmungsmarsch ›Hello, Kettering!‹ handelt, eine Komposition von Rudolf Nones (Text: Reinhard Nones4) mit dem sirenengleich übersteuerten Sopran von Pauline Breirather, dargebracht von der Stadtkapelle Steyr als Gastgeschenk für Paul Schartl, den befreundeten Kapellmeister der befreundeten Kettering Civic Band der befreundeten Partnerstadt Kettering, Ohio, beim Galakonzert at Fairmont West Highschool, Kettering, Ohio, am 5. September 1982.

Etwas früher, 1. Mai 1982, Steyr. 1. R., 2. v. l.: der Luiskandl Toni. Stabführer ist der Gradauer Otto, mein Tenorhorn- und, später, Posaunelehrer.

Erstes Tenorhorn: Bertl Mütter (im Konzert gleichwie bei der montäglichen Probe stets zwischen dem Luiskandl Toni und dem Etlinger Reinhard). Lauter Freunde, auf immer:

Das swingt doch wie Sau!, nicht wahr?

Der aus Tirol zugewanderte Kapellmeister (zugleich Direktor der Musikschule der Stadt Steyr) Professor Nones war, nebstbei bemerkt, ein widerlicher, autoritärer Despot5, der mit perverser Vorliebe für als schwächlich erkannte Musikanten vor versammelter Meute zur Sau gemacht hat, und niemand hat sich das verbeten oder wäre dem Gedemütigten (dem Mano Joschi; dem Luiskandl Toni) beigesprungen. Dass just Pauline Breirather, Gesangslehrerin an der Musikschule, hier singt, hat dann doch eine diskrete Pointe: Manfred, ihr Mann, war der Stiefbruder von Sidonie Adlersburg, die seine Eltern, einfache Leute aus der Arbeitersiedlung Letten unweit Steyr, als Pflegekind bei sich aufgenommen hatten. Erich Hackl hat ihre Geschichte erzählt.


Ich bin, ich weiß nicht mehr warum und wie, über dieses Videodokument gestolpert und präsentiere es, ja, leider, hier im Giftkübel, nicht in der Schaut-her-mit-wem-ich-gespielt-habe-Rubrik6. Eine unter mehr oder weniger jungen Jazzmusikern allzugerne gepflogene Unart ist, sich über andere, Unbestritten-Größtartige, zu definieren: »Spielte mit: …«7 (siehe dazu die Rubrik ›Referenzen‹). Es kann aber sein, dass just derart Allergrößte bei näherer Begegnung aufs bestürzendste verzwergen und regelrecht zu Miniaturen ihrer selbst zusammenschnurren. Bei Herrn Ibrahim war es leider so, dass er sich vor unser aller Augen reziprokisierte. Der umsichtig-liebende Bert Noglik hatte für die Oper Leipzig eine Dramaturgie um Stationen seiner Biographie8 erarbeitet, die wir zusammen umsetzten sollten und wollten. Ehklar war alles affirmativ bis anhimmelnd angelegt, weil so wollen es die Leute. Indes, Herr Ibrahim gerierte sich bei den Proben und backstage insbesondere gegenüber seinen eigenen Bandkollegen, allesamt (soweit ich mich erinnere) afroamerikanische Musiker, wie der letzte Rassist9, um sich – Scheinwerfer an! – auf der Bühne als spiritueller Großmeister darzustellen, weißes Heilandsgewand, die Hände demutsvoll vor der Brust gefaltet, ein dezentes Nicken des Kopfes belegte purste Lauterkeit. Verlogener geht nicht, und das mitansehend hat das eigene Musizieren leider keinerlei Freude mehr gemacht.

Natürlich ist jedweder Rassismus entsetzlich, das Match aber lautet: Oben gegen Unten. Da hat nun ein zweifellos von Rassismus und Diskriminierung betroffener Mensch selber widerlichstes Nachuntentreten betrieben und konnte sich nach schwärzester Gallenlust10 austoben. Hätte ihn, den Sakrosankten, jemand angeredet, kritisiert gar, er hätte publikumswirksam auf seine wohlbegründete Unberührbarkeit gepocht.11 So betrachtet muss man ›CapeTown Traveller‹ als verlogene Opfer-Oper bezeichnen.

Ich bekenne beschämt: Da habe ich mitgemacht; aber ich konnte es vorher halt nicht besser wissen. Mein Appell, auch an mich selbst: Maul aufreißen!


 

  1. Triggerwarnung: Nicht alles hier ist so unbeschwert peinlich-lustig, zum fröhlichen Fremd- bzw. Vertrautschämen, alswie es anhebt. Oftmals wundern wir uns im nachhinein über den einstmaligen Saumagen, den wir gehabt haben müssen, und wir haben gar nicht (oder nur ansatzweise) bemerkt, wie wir da hineingeraten sind und wo wir da mitgemacht haben!
  2. Merke: Wer im Seniorenclub auftreten durfte, wurde mehroderweniger mit dem Daraufstolzseinkönnendürfen abgespeist.
  3. bislang und auf absehbare Zeit einzigen
  4. »Kettering, Kettering / O my dear Kettering / Kettering, Kettering / You are in my heart,…« bzw., 2. Strophe: »O how I love you,…«. Die … Punkte müssen hier für beim besten Willen unverständliche lyrische Ergüsse des Sohnes des Kapellmeisters der Stadtkapelle der Stadt Steyr stehen. Enden tut der ausgepichte Swing March jedenfalls mit »Love you forever / Kettering!«, und so soll’s uns doch bitte recht sein.
  5. (geschult in Großer Zeit, da es keine Rücksicht auf schwache Elemente im Volkskörper geben durfte)
  6. (die es bei mir eh nicht gibt)
  7. Besser, da ehrlicher: »Pinkelte neben: …«
  8. eig.: Hagiographie
  9. … in Wort und Tat.
  10. Herzenslust, dieser Begriff wäre unangebracht
  11. Wir kennen diesen rhetorischen Kniff jederzeitiger Bereitschaft zur Selbstviktimisierung auch von Staaten wie Israel, die Türkei oder, ganz nah, Ungarn (…); aber das soll hier nicht weiter ausgeführt werden, es führte auf Glatteis, und man bekäme Applaus von der allerfalschesten Seite, und die ist ja auch permanentes Ziel infamster Angriffe.