Schule des Staunens 6.3

13. Februar 2015

(Materialien, eingewoben in meine Schule des Staunens am 9. bzw. 10. Februar 2015 im Wiener Konzerthaus)

Kafkas Freund Max Brod berichtet, wie dieser beim Vorlesen des ersten Kapitels des Romans „Der Proceß“ so schallend gelacht hat, dass er die Lesung immer wieder unterbrechen musste. Das Fatale an Kafkas visionären Karikaturen der frühmodernen Gegenwart war ihre Präzision: die Unbestechlichkeit der Beobachtung und die Originalität und Wucht der Übertreibungen.

Das Tierwerden ist die Potenz jener Komik, die eine Verkleidung oder ein Kostüm hervorbringt. Das Tier ist der radikale Clown: die existenziellste Form der Verkleidung.

Kafka ahnte, dass der in ihm präsente Ernst alle Heiterkeit überschatten könnte. „Ich kann auch lachen, Felice, zweifle nicht daran“, schreibt er 1913 in einem Brief, „ich bin sogar als großer Lacher bekannt.“ Stolz erzählt er seiner Geliebten, wie er seinen Vorgesetzten während einer ernsten Zeremonie von Lachkrämpfen geschüttelt jeder Autorität beraubte. Dem Präsident kam gar nicht „die Möglichkeit der Respektlosigkeit vor seiner Person“, Kafka und seinen Kollegen aber schon.
„Natürlich lachte ich dann, da ich nun schon einmal im Gange war, nicht mehr bloß über die gegenwärtigen Späßchen, sondern auch über die vergangenen und die zukünftigen und über alle zusammen, und kein Mensch wusste mehr, worüber ich eigentlich lache.“ Es ist dieses libertäre, respektlose Lachen, das in Kafkas Werk nie verstummt ist.

„Wie heißt du denn?“ fragt man ihn. „Odradek“, sagt er. „Und wo wohnst du?“ „Unbestimmter Wohnsitz“, sagt er und lacht; es ist aber nur ein Lachen, wie man es ohne Lungen hervorbringen kann. Es klingt etwa so, wie das Rascheln in gefallenen Blättern. Damit ist die Unterhaltung meist zu Ende.

Aus: Die Sorge des Hausvaters