Westwärts schweift der Blick
Richard Wagner, Tristan und Isolde
Vormittags im Regionalzug, von Wien hinaus. Ein etwas devastiert wirkender buntgekleideter Mann um die fünfzig fragt den unvermutet erschienenen Schaffner in dringlichem, waggonfüllendem Ton: »Ent-schuldigung, haam Sie meine Mamma gsehn?«, »Ältere Frau«, fügt er zweckdienlich spezifizierend hinzu, und »ach« loriotisiert der Ohrenzeuge bei sich.
Hier im ersten Waggon sei sie nicht, der liebe Fahrgast möge einmal nach hinten gehen, er komme später nach, dann könnten sie gemeinsam suchen, tröstet ihn der Zugbegleiter. Wie ich ihn auf die Situation anrede, meint der Schaffner, dass er den Fahrgast wohl kenne und immer wieder auf seine aktuellen Gschichtln gespannt sei. Heute sei er eh ruhig gewesen. Generell halte er sich an die Maxime, dass, wenn ihm einer seiner Spezialgäste (er habe einige, man kennt sich) eine gute Story auftische, er sich die gerne anhöre. Einfach nur so ohne Geschichte und ohne Ticket einsteigen, das gehe selbst bei ihm aber gaar nicht.
Ob und wo die Mutter gefunden werden konnte (ob sie gar überhaupt noch lebt), ist nicht bekannt und unterliegt dem multiplen Persönlichkeitsschutz.
(Das ist doch eine schöne Geschichte zur winterlichen Sonnwend, nicht wahr?)