Ich begleite Papa zum Neurologen, ein – für mich – fixes halbjährliches Ritual. Papa fragt jedesmal, zu wem wir gehen und bekräftigt bei jeder Station (Hauseingang, in den Lift, im Lift, aus dem Lift, in die Praxis, beim Mantelausziehen, nach dem Inderordinationumschauen), dass er da aber ganz sicher noch nie war. Schließlich, wie er ihn einmal durch das Wartezimmer gehen sieht, entsinnt er sich irgendwie doch des Arztes. Oder er findet sich drein: Es hat sich als taugliche Strategie erwiesen, sich doch recht zu erinnern, denn dann wird er belobigt, und wer wird das nicht gern.
(Muss das mühsam sein, im hohen Alter, für etwas auf die Schulter geklopft zu bekommen, was bis vor nicht so weit zurückliegender Zeit zu Recht keiner gesonderten Erwähnung bedurft hätte. Papa erträgt das alles mit einem gewissen stoischen Optimismus oder eben: Er findet sich drein: »Muas jo geh’.«)
Diesmal gehen wir vor dem Gespräch mit dem Doktor zur Assistentin. Sie macht den Vortest. Papa soll nur ein paar Fragen beantworten, nichts schlimmes, aber er ist ohnehin nicht argwöhnisch, hat sich sein offenes Wesen behalten. Nach einigen teilweise unerwartet präzise gegebenen Antworten (es waren aber auch abenteuerliche Weltkonstruktionen darunter) bittet ihn die Assistentin, einen Satz auf einen Zettel zu schreiben, irgendeinen, muss nicht lang sein. Papa muss gar nicht überlegen und fängt gleich zu schreiben an. Seine Handschrift ist schon arg deformiert, aber für mich ist es rasch klar mitzulesen, sodass ich der Assistentin, die mit vier, fünf Worten zufrieden gewesen wäre, bedeute, sie möge ihn fertig schreiben lassen, er ließe sich ohnehin nicht davon abbringen, sodass bald da steht:
Da steh ich nun ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor.
Abbusseln hätt’ ich ihn mögen: Ende November kommen wir wieder!
(Kleine Erläuterung: Mein Vater verfügt über keinerlei sog. Höhere Bildung. Aber in den sechziger Jahren hat er, da er nebenbei als Filmvorführer gearbeitet hat, sehr oft den Faustfilm mit Gustav Gründgens und Will Quadflieg gezeigt und dabei vor allem auch gehört. Das ist ihm hängengeblieben, und bis heute braucht man ihm nur ein Hölzl zu werfen, und schon sagt er seine liebsten Sprüche, ja ganze Szenen fast auf, aus seinem ansonsten mittlerweile recht hermetisch verschlossenen Gedächtnis.)