herbstmütter 2010

1. September 2010

weiche, wotan, weiche
richard wagner, das rheingold, vierte szene

liebe mba,

ab morgen kommen keine frischen fünfundsiebzigwattbirnen mehr in den handel, hat die radionachrichtensprecherin eine stunde vor dem inkrafttreten des mitternächtlichen morgens, der längstschon einem mittag weichen musste (und auch der wird sich in einen abend vertschüsst haben undsoweiter) verkündet. das war doch etwas knapp, im finstern noch dazu, unfair sowas. nachrichtentatsache aber ist, dass ein nährwert von 75 watt (wieviele joule respektive kalorien sind das eigentlich? und: wie groß ist die zugestandene toleranzschwankungsbreite?) den birnen fürderhin vorenthalten ist, zumindest jenen frischen im handel. wollen sie also fünfundsiebzigwattbirnen, kaufen sie sich unfrische, und auch die mostbirn fallen schon von den bäumen, sie sind etwas kleiner, aber, sagen wir: drei fünfundzwanziger, so lehrt uns das mittelgroße einmaleins, machen auch fünfundsiebzig, und wenn du sie ordentlich presst, kannst du sie auch in ein großes gewinde hineindrehen, drehst du dann auf, wirst du schwarz sehen, das aber ist verboten, und gerbstoffreich sind sie noch dazu, die mostbirn.

herbst herbst herbst.

heute vor einem jahr war es heiß, täuschhochsommerlich heiß. so erinnert man sich, sehnend, in der kühle, vergisst dabei aber gerne, dass ab 3. september ein voroktober anbrach, der sich gewaschen hatte, schnee am grimming, ganz unschön weit herab, jawohl. mein erster trost: hält sich das wetter diesmal an den bericht (vieles spricht dafür), wird es diesmal angenehmer sein.

sie sehen, es will mir nicht recht gelingen, allzu redundant (ein recht regionalvorwahlszeitgemäßes wort) ist die wettersache, dieses in schwankenden varianten immergleiche, als dass es mir gelingen möchterte, sie zu einem tauglichen thema zu machen, und ich frage mich, ob es nicht interessant und beruhigender wäre, an einem ort zu leben, wo es keine jahreszeit gibt, am äquator, wo alles gleich ist, gleichgemacht, am besten überhaupt in ecuador, meinen panamahut aus bestem ecuadorischem handgeflecht am kahlen kopf. oder wo, wo es, zumindest saisonal, überhaupt kein wetter gibt, in einem attnangpuchheimeligen dauernovember, von mitte september bis nach ostern (und ostern ist 2011 sehr spät: der weiße sonntag fällt mit dem tag der arbeit zusammen – wo doch noch 2008, vor nicht allzu langer zeit also, der hundertste geburtstag von giovannino guareschi, dieser erste mai, sinnigerweise mit christi himmelfahrt ident war, was für eine liebevolle referenz der gestirne vor dem schöpfer von don camillo und peppone!). dieses kommende hochnebelnangpu ist ja gerade in unseren nördlich der alpen gelegenen mäßigungsbreiten sehr populär, würfeln wir uns doch hoch von, sagen wir: frankenburg, touchieren wir den rand des hochnebelfreilands in salzburg weiter, über, weils hier auch schon immer schön war, augsburg, neuburg (nein, der leberkäs, den man nicht leberkäs nennen darf, stammt aus ulrichsberg im böhmerwald), mainburg, regensburg, nürnberg (oops!), würzburg, coburg, zur wartburg, weiter nach altenburg, mit einem abstecher (den wir uns gönnen wollen!) ins nahe frohburg, dann naumburg, über die henne und den pödelist ins unstrutige freyburg, quedlinburg, magdeburg, wolfsburg, lüneburg, hamburg, rendsburg mit seiner nordostseekanalstahlhochbrücke bis hinauf nach flensburg – um ein paar burgen (und auch einen – recht eben daliegenden – berg) aufzuzählen.

ich muss zugeben, recht aussageprall war der letzte absatz auch nicht.

zurück, dennoch, zu den temperaturen. das hitzegedächtnis ist ein nur sehr wenig hilfreiches, wenn sich der herbst anschleicht. thomas manns satan hat im doktor faustus ein taugliches bild für die hölle gefunden:

… ihr wesen oder, wenn du willst, ihre pointe ist, dass sie ihren insassen nur die wahl lässt zwischen extremer kälte und einer glut, die den granit zum schmelzen bringen könnte, – zwischen diesen beiden zuständen flüchten sie brüllend hin und her, denn in dem einen erscheint der andre immer als himmlisches labsal, ist aber sofort und in des wortes höllischter bedeutung unerträglich.

zurück also in den süden, in windeseile und nicht mit dem auto (die strecke von franken- nach flensburg hat exakt dreiundzwanzig stunden und null minuten gedauert – wäre man am 31. august 2010 pünktlich zur mitternacht gestartet, hätte, astronautengleich, nie getankt oder, anhaltend, stoffwechselendprodukte ausgeschieden und hätte man zudem in flensburg noch österreich eins aufgedreht gehabt, so hätte man als spitzenmeldung in den nachrichten obige fünfundsiebzigwattbirnenabschaffungsmitteilung  gerade nicht mehr erhalten, weil man in dem moment den schlüssel aus dem schloss herausgezogen hätte, was das licht – und das autoradio – abgedreht hätte), ab in den süden, in die dolomiten, da ist es, höllenfern, nicht allzu heiß (manchmal mag es gewittern), am pragser wildsee servieren sie dir frittata dell’imperatore, das heißt dir nicht, den italienern aber, du kriegst dafür deinen kaiserschmarrn, gute alte zeit, fürwahr, und du gibst dir, vor dem abstieg, noch einen letzten zucker drauf, zwetschkenröster dazu, himmlisch.

mit dieser süße am imaginären gaumen will ich sie dem herbst überlassen, er sei ein goldener und bitter nur dort, wo sie es so wünschen, das kann ja zwischendurch auch ganz gut schmecken.

wobei ich den thomasmännlichen höllenvergleich jetzt nicht auf die grundliegenden geschmacksrichtungen anwenden will: was für ein unseliges hetzen im pentagon (oder ists gar ein hexagon?) zwischen süß, sauer, salzig, bitter bitter, umami (und möglicherweise fettig?)!

süß

sauer

salzig

bitter

weitere letzte zucker demnächst im mütterlog.

ihr bertl mütter
(der herbst ist so ein bilderreich, diesmal also fotolos)

service

vorbei ist vorbei.

mütterlog (täglich, seit 1.12.2004)

– kaufen sie tonträger.

– konzerte, symposien, workshops: finden sie alles rechtzeitig auf muetter.at. ich erlaube mir, besonders auf klingenmünster (12.9., gregorianisch-hildiges mit witte-maria weber) und bingen (8.10., ähnlich hildiges, aber gaanz anders, mit ars choralis coeln) hinzuweisen. im oktober referiere ich in graz über harald kaufmann und györgy ligeti. im november bin ich zum workshopping im breisgauischen freiburg; womit auch das -burg-motiv zu seinem ende gefunden hätte, schloss damit!

– der nächste mütterbrief kommt zirka am 1. dezember 2010 zu mittag. bis dahin wird viel passiert sein (umgezogen bin ich und habe ich mich schon, und nach muetterlog.at wird auch muetter.at erneuert strahlen); die trauben werden gepresst sein, die mostbirn auch.

– ende. danke vielmals.