Am Samstag, 13. November nachmittag habe ich im Heim (seit 18. Oktober war er dort) angerufen, ob mein Bruder nicht doch den Papa besuchen könne, ob es nicht eine Chance gebe, mit ihm spazieren zu gehen; sie hatten nämlich für zwei Tage zu, da ein oder zwei COV-Verdachtsfälle waren. »Nein, tut mir leid, es sieht so aus, als haben wir die nächsten Wochen zu … aber, Moment, Sie sind der Herr Mütter, ich habe Sie auf meiner Telefonliste, Ihr Vater scheint sich infiziert zu haben, der Antigentest war positiv, gerade jetzt ist das Rote Kreuz da wegen PCR-Test…« Sonntag nachmittag die Info vom Heim, dass Papa ins Spital muss. Sonntag abend der Anruf aus dem Spital, wir können je-der-zeit hinein. Knapp nach Mitternacht waren mein Bruder und ich bei ihm, er hat, beatmet, geschlafen. Es gab keine Hoffnung, die Behandlung war von Anfang an palliativ, alles andere wäre eine unnötige Qual gewesen: Das Drehbuch der Krankheit schaut bei einem alten Menschen in der Grundverfasstheit meines Vaters so aus. Und er hat sich daran gehalten: Montag waren mein Bruder und meine Mutter tagsüber bei ihm, er war ansprechbar und es war ein guter letzter Besuch für die Mutter. Dienstag gegen Mittag noch ein Anruf, der Bruder und die Schwägerin haben ihn einmal noch atmend erlebt. Wir sind am Abend nach Steyr, um 21.00 (Amstetten) kam der letzte Anruf. Papa war 20 Minuten zuvor im Schlaf, wie man sagt, gestorben, schmerzfrei, soweit man das wissen kann. Wir durften zu viert zu ihm, keine neunzig Minuten nach seinem letzten Atemzug. Er hatte einen neutralen, irgendwie neugierig verwunderten Gesichtsausdruck, und das erscheint mir stimmig. Es ist das Eingehen in eine (die) große Neutralität.
Soviel in aller protokollarischen Kürze.
Der Landeshauptmann Thomas Stelzer von der ÖVP hat nach einem beherzten Wahlkampf, in dem gewitzt eine Für-uns-gilt-Corona-nicht-Wohlfühlpolitik betont wurde, seine Wahl gut herumbekommen, und wir dürfen zur friktionsfreien Fortsetzung seiner Koalition mit der FPÖ gratulieren: Die Strategie ist aufgegangen, ein großer Erfolg. Dass dafür halt leider ein paar Opfer erbracht werden mussten, ist evident, und sterben müssen wir schließlich alle. Außerdem: Teil eines Rekords (91 COV-Tote in Oberösterreich in dieser Woche) zu sein, hat ja auch was schönes.
Mein Vater hätte noch eine gute Zeit im Heim haben können; er hatte sich erstaunlich rasch eingelebt, und durch seine fröhliche Unangepasstheit wäre er ein fürs Hausklima wertvoller und jedenfalls willkommener Bewohner geworden, hat sich abgezeichnet. Schade, traurig schade.
Aufs Programmheft vom LOGORATORIUM (zeitgleich und doch stimmig waren die Endproben bei Wien Modern) habe ich hinten drauf geschrieben:
Ich widme das LOGORATORIUM meinem Vater Edmund MÜTTER. Seine auch in der Demenz bis zuletzt intakte Freude an absurden Reimen, Wortspielen und gepflegtem Nonsens (etwas, das man bei vordergründig wenig gebildeten Menschen selten nur antrifft) war und ist mir subkutan-osmotischer Quell und beständige Ermutigung, meinen eigenen Irrsinnigkeiten fröhlich nachzugehen. Was ihm nicht gewährt war und wurde, darf ich in übersteigernder Fortführung (und auch einer gewissen theoretischen Unterfütterung – auf die es aber in der Essenz niemals ankommen darf!) weiterführen und -schenken.
Genau so empfinde ich es.
Heute ist die Trauerfeier.