(Ein Traum)
Ich soll als Tamino debutieren. Es hat aber keine wirkliche Probe gegeben, ich steige in eine Repertoireproduktion ein.
Zwischendurch fällt mir ein, dass ich ja gar kein Tenor bin. Wenn schon, dann könnte ich den Vogelfänger spielen. Es ist aber ohne jeden Zweifel so, dass ich gleich auftreten werde, und zwar, verdammt, als Tamino!
Während, ähnlich dem Vorspiel am Fußballplatz, vorne vor schütter besetztem Haus eine moderne Oper deftigen Inhalts gegeben wird (wohl eine Kasperliade; zwischendurch entspannen sich regelrechte Dialoge mit dem ätzendem und grölenden Publikum, so wie ich mir vorstelle, dass es in Schikaneders Theater auf der Wieden gewesen sein muss), suche ich im engen Gang hinter der Bühne, von dem es zu einigen Zimmern geht (überall wird heftigst geraucht, dazu riecht es nach abgestandenem Bier und Wein) mit wachsender Verzweiflung nach einem gelben Reclam-Heftchen mit dem Text der Zauberflöte, denn mir fällt auch kein Dialog mehr ein, und bereits nach vier, fünf Zeilen ist es um meine Erinnerung an die Bildnisarie geschehen (ganz abgesehen von der allerersten Szene wo ich nach Zu Hilfe, zu Hilfe, sonst bin ihich veherlohren in der Tat verloren sein werde).
Als eine Kollegin (die ich, wie alle hier, nicht kenne) sieht, wie ich verzweifelt suche, nickt sie nur und sagt halblaut Jaja, Proviant – nein, tut mir leid, ich weiß auch nicht, wo die Zauberflöte steht. Dabei sind die billig furnierten, verstaubten Kästchen mit Glasschiebetüren voller Reclam-Hefter, alles in Schulklassenmenge, Stifters Abdias, aquis submersus und Der Schimmelreiter von Theodor Storm, ja sogar Die Entführung aus dem Serail lagern da völlig nutzlos, nirgends aber auch nur eine Zauberflöte!
Während der Ouverture, gerade noch rechtzeitig vor meinem Auftritt, darf ich erwachen.