Aus Zucker

6. März 2020

Gespenstisch wird’s, wenn du im Zug sitzt, ein später, und nach kurzer Fahrzeit dringt ein stechender Geruch durch den Waggon zu dir. Es kann doch nicht sein, dass der bleiche junge Mann mit den zeitgemäß fettigen Haaren und dem dazupassenden Bart (diese gleichmacherische Individualität, mit der sich in sog. Barbershops – men only! – verunsicherte Männer vormachen, dass sie bedeutsame Herren seien) sich eben den Nagellack entfernt. Du gehst vor zu ihm. Er schaut dich aus feindseligen kleinen Augen an. Du fragst, höflich aber schon auch bestimmt, was das sei, weist auf das Fläschchen vor ihm, das mit der farblosen Flüssigkeit, bittest, er möge es nicht mehr öffnen, der stechende Geruch, Kopfweh und so. Er zuckt, stammelt mit unwirklicher Fistelstimme: »Sie brauchen nichts zu befürchten, … Desinfektionsmittel … da brauchen Sie gar nichts zu befürchten, es ist alles sicher, alles unter Kontrolle (…)!«

Du wechselst den Waggon, und im Vorbeigehen kannst du dir ein gut hörbares doppeltes Räuspern – ||: ehü :|| (in Oberösterreich auch [kö:zn] genannt) – in Richtung der Desinfektionszone nicht verkneifen.

Viel hat nicht gefehlt, und er hätte die Notbremse gezogen.

[27.2.2020]