austreten

19. Juli 2010

keiner wusste, warum so unpraktisch, aber so war es nun einmal. als er gastlich empfangen wurde, zeigte man ihm als erstes den weg zur toilette und machte ihn, freundlich aber bestimmt, darauf aufmerksam, dass man ihn nur einmal darin unterweise und jedenfalls allergrößten wert darauf lege, dass er die gemeinsam festgelegten verhaltensregeln (verrichtungsregeln) aufs peinlichste einhalte. und das jedenfalls auch beobachten werde. völlig dranglos also folgte er den jungen freundlichen menschen, die stets lächelten, sich untereinander mit kleinen scherzchen neckten, die eine große persönliche nähe aller zu allen suggerierten, scherzchen allerdings, die ihm infantil und nicht dem durchschnittsalter (die jüngsten waren etwa mitte zwanzig, studienendphase) zu entsprechen schienen, auch war ein gewisses geheimnishaftes verschworensein zu konstatieren. aber dass es sich tatsächlich um eine spirituelle gemeinschaft handelte, die sich der tiefsten themen der existenz in meditation und vortrag annahm (ein permanentes innesein von allem), konnte er nicht wirklich herauslesen aus ihrem umgang miteinander, dem ihn unmittelbar etwas irritierenden standardbegleitverhalten zu allen zwischenmenschlichen kurzkontakten am gang, in der küche, ins innerste (sie nannten es, etwas nüchtern, die zentrale), auf dem weg vom und zum klo (der hauptweg, wie ihm schien), nämlich diesem schallenden lachen, und alle setzten ein ähnliches grinsen auf, das deswegen nicht minder herzlich war, wie zu ihrer eigenen illustration lachte es in einem fort aus ihnen heraus, grinsekatzisch, aber schon sympathisch, sehr, ja.
diese gedanken wanderten durch seinen kopf, sodass er, als sie die straße überquert hatten, mit klammheimlicher bestürzung (ihm standen ihm die worte angst und bang vor dem imaginären auge) feststellen musste, dass er unkonzentriert auf das wesentliche gewesen war, und war dies doch eine übung in ihren meditationen, hatte er einmal gehört, der weg zurück, beruhigte er sich, würde ihn die ersten schritte bis hierher in umgehkehrter richtung lehren, und kamen ihnen ja beständig einander neckende auflachende junge schöne menschen entgegen, die einander tief in die herzen zu blicken schienen (ein großes einverständnis, einssein), der verkehr war beinah so rege wie auf einer ameisenstraße vorm gewitter.
schräg gegenüber also das alte zinshaus, bewohnt von orthodoxen juden: wortlos redende schwarze barthutmantelmänner mit identischem blick gingen aus und ein, dazwischen kleine buben mit kippa, einem war bei seinem bunten fahrrad die kette nicht einfach herausgehüpft, sondern sie hatte sich verheddert wie bei einem seiltrick, der darauf beruht, dass der gegenwärtige zustand nur so herbeigeführt werden hatte können, indem man das seil aufgeschnitten, überkreuzt eingefädelt und dann wieder zusammengebunden hätte, aber da ist kein knoten – zauberei! er beugte sich also hinunter zu dem buben und wollte ihm helfen, redete ihn an (ja, er konnte auch wienerisch), hedderte herum und gab nach gut zehn minuten mit ehrlichem bedauern auf, aber der bub und auch sein onkel (der wortlos aber redend; es waren alles onkel) dankten ihm recht freundlich, und er wischte mit seinen kettenschmierigen schwarzen finger über den asphalt, um zumindest den gröbsten schmutz abzubekommen, umso mehr, als es zu den sanitären räumen gehen sollte, und seine kloreiseeinweiser (waren es inzwischen mehr geworden?) warteten schallend lachend aber doch ein wenig ungeduldig (was für eine nützliche übung er bzw. der bub mit der kippa und der verhedderten kette ihnen aufgegeben hatte; es ist nämlich alles, immer, übung – vor einem ernstfall, der das leben wäre, schien man hier in dieser zentralen modellsituation gut bewahrt, und die jüdischen mitbewohner waren teil einer bemerkenswerten symbiose, dämmerte es ihm, interessant irgendwie das).
jetzt also der schlüssel, zuerst zur vordersten haustüre, links oben auf dem gläsernen vordach, er war mit seinen einsneunzig gerade groß genug; man brauchte ihn aber kaum, weil der verkehr so rege war, dass man sich die klinke in die hand gab (die kleineren mussten halt, wenn, was unwahrscheinlich war, weniger los war, warten, sodass man einander lachend helfen konnte, stellte er sich vor). drinnen dann, der schlüssel zum hinterhaus, genau die gleiche situation. warum hatte man eigentlich hier nicht auch so praktische zahlenkombinationssesamöffnedichs angebracht, wie man sie beim eingang zur zentrale selbst verwendete? seltsam.
lachbegleitet ging die tür auf und nach der treppe in den halbstock kam die letzte tür, diesmal mit zahlenkombination, geht ja doch. natürlich verriet man sie ihm nicht, aber es waren ja genügend menschen unterwegs, beständig, so viele, als wären sie von jemand auf ein förderband gestellt worden, wie in der oper, wenn der chor heeresmassen darzustellen hat und, aus der szene, schnellschnell hintenrum, wieder daherkommt, ein lachend seltsam drangloses riesenheer fürwahr.
jetzt, die eigentliche verrichtung – mittlerweile musste er zumindest wasser lassen: man lachbat ihn, in einen etwas überhüfthohen hölzernen bottich zu steigen, der ihn an die japanische badekultur erinnerte; und durfte man dort aber nie nie nie, unter keinen umständen hineinpissen, das wasser in ihnen wurde von der ganzen familie verwendet. hinhockerln. den hahn rechtsoberhalb der schulter aufdrehen (gut temperiert war das wasser, allerhand!). wenn die knöchel mit wasser bedeckt sind, es rinnen lassen, jaja, durch das gewand, gehtschon! warten, bis das wasser bis zu den schultern angestiegen ist und knapp unterm kinn den hahn zudrehen, langsam bis acht zählen, sieben, acht. jetzt mit der linken hand den stöpsel ziehen, genau, zwischen den füßen. warten wieder, die anderen ringsum lachgrüßen, paar belanglose floskeln auslachen (haha – du auch da? – haha – jaja – haha). wenn die schuhe vom abfließenden pissmischwasser wieder freigegeben werden, langsam aufstehen. exakt drei sekunden verharren, ein kräftiges ha! lachen und über den bottichrand steigen. fertig, so einfach geht das bei uns, haha!
merkwürdig, er war tatsächlich völlig trocken. und geruchsneutral, wie alles hier. den weg zurück registrierte er über dieser verblüffung nicht, aber er war es zufrieden. und das scheißen würden sie ihn auch noch lehren.