Am 1. November 1994 habe ich zum ersten Mal einen Zyklon gesehen, es war im Meer draußen, direkt vor der Küste von Cinque Terre. Wir haben am Bahnsteig auf den Zug gewartet, als plötzlich dieses unheimliche Brausen aufkam. Dann sahen wir auch schon den Trichter, wie er sich an der Wasseroberfläche kreiselnd seine Nahrung holte. Die Szene war gespenstisch, machte aber keine Angst. Auf einmal gingen die Menschen wie hypnotisiert vom Bahnsteig zu der Mauer vor, die die Bahntrasse vom Meer trennte; niemanden schien zu interessieren, dass auf dieser Strecke abgesehen vom Regionalzug, der uns nach La Spezia bringen sollte, auch Schnellzüge aus dem Tunnel brausen.
Als drei Tage später meine geliebte Großmutter gestorben war, musste ich sofort an den Himmelstrichter denken; dass ich beim Erleben des Zyklons so sonderbar berührt gewesen war, fand jetzt seine traurige Erklärung, die mir zugleich Trost spendete.
Ich habe bei Omas Begräbnis mit meiner Posaune Abschied genommen. Persönlicheres habe ich nie zuvor und vielleicht seither nicht mehr wieder gespielt. (Vielleicht muss ich deshalb so selten zu ihrem Grab.)
Am 1. April 2004 habe ich wieder auf einem Friedhof musiziert. Niko war gestorben. Ich hatte ihn kaum kennen gelernt. Er war der im Alter von etwa zwölf Jahren gegangene Sohn von Freunden, und er war schwerst behindert, ja, so sagt man. Seine Mutter hat in privater Initiative eine integrative Theatergruppe gegründet, wo die parallelen Welten der Behinderten und der so genannten Normalen zusammengeführt werden. Die feinstoffliche Sensibilität jener Menschen, von denen man meinen würde, dass sie kaum etwas mitbekommen, oder uns gar etwas von ihnen mitgeteilt werden könnte, berührt jenseits der Bereiche, um die es in unserem so reellen Leben tagtäglich geht.
Nikos Tod hat an seiner Erreichbarkeit wenig verändert, das war bei seinem Begräbnis und darüber hinaus den vielen Freunden, die er hatte, spürbar. Das spendet Trost für unser aller Leben.
Ein bestärkendes Erlebnis war auch, dass ich am späteren Nachmittag des 1. April auf der Straße Max getroffen habe. Er war freudig aufgewühlt: ein paar Stunden zuvor hatte seine Freundin Lisi Josefine zur Welt gebracht. Lisi hatte ich im Zug nach Oberösterreich zu ersten Mal getroffen. Das war an einem 24. Dezember.
Wer sich für die Theatergruppe interessiert: Den Verein Delphin finden Sie hier. Auf der Begrüßungsseite sieht man übrigens Niko. Mit Dominik, seinem Bruder. Und Delphine gibt es auch im Meer vor Cinque Terre.