Schule des Staunens 8.4

11. März 2015

Bert Brecht war ein Technikbegeisterter der ersten Stunde und wusste das auch für seine Interessen anzuwenden. Mit seinem Werbegedicht „Singende Steyrwagen“ hatte er sich 1927 gar den luxuriösen Sechszylinder Steyr Typ XII erdichtet und hielt in der Folge kapitalismuskritische Bissigkeiten („Fordschritt“) etwas im Zaum – wohl, um sich keine Nachteile im Feilschen um weitere gesponserte Autos einzuhandeln:

Wir liegen in der Kurve wie Klebestreifen
Unser Motor ist:
Ein denkendes Erz.

(Unwillkürlich fällt einem bei derartigen Zeilen Marinettis gewalt- und kriegsverherrlichendes futuristisches Manifest von 1909 ein.) Für Brecht gewinnt die Fahrt in so einem technischen Wunderwerk symbolische Qualität: Da sind wir ganz nah auch beim Lindberghflug. Die mythologisierende Personalisierung von Flugzeug, Motor (auch des Nebels, Schnees, der Stadt New York, …) erscheinen mir allzu holzschnittartig-bedrückend und schnüren mir den Hals ein. In eine seltsam alttestamentarisch-prophetische Sphäre gar taucht er die Spekulationen der französischen Zeitungen über diesen Flieger, der da kommt:

Auf unsern Kontinent zu, seit mehr als vierundzwanzig Stunden, fliegt ein Mann. Wenn er ankommt, wird ein Punkt erscheinen am Himmel und größer werden und ein Flugzeug sein und er wird herankommen und auf der Wiese wird herauskommen ein Mann. Wir werden ihn erkennen, wir werden ihn erkennen nach dem Bild in der Zeitung, das vor ihm herüberkam. Aber wir fürchten, er kommt nicht. Die Stürme werden ihn ins Meer werfen, sein Motor wird nicht durchhalten, er selber wird den Weg zu uns nicht finden. Also darum glauben wir: wir werden ihn nicht sehen.

Die Furcht, er komme nicht, verweist vielleicht auch auf Brechts eigene Unfallerfahrungen. Nämlich bereits am 20. Mai 1929 weicht er einem auf seiner Spur entgegenkommenden, einen LKW überholenden Rowdy geistesgegenwärtig aus, indem er in den Straßengraben lenkt und den Wagen an einem Baum zum Stehen bringt – nur „unbedeutende Verletzungen“, verfasst in der Folge möglicherweise selber (unter dem Namen A. Stöcker) einen kuriosen Unfallbericht*, der in ein Lob des Steyr-Wagens mündet – und bekommt tatsächlich einen neuen!

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Einem anderen Großen, Italo Svevo (eig.: Ettore Schmitz), kostet ein ähnlicher Unfall (regennasse Fahrbahn, Baum, …) im September 1928 das Leben. Seine Witwe Livia Veneziani Schmitz erinnert sich, er sei nach dem Autounfall an dem Schock, den sein Herz nicht ertrug, gestorben. Der sterbende Svevo, als man ihm am Tage nach dem Unfall das Rauchen verwehrte: „Das wäre wirklich die letzte Zigarette.“

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* Ein lehrreicher Autounfall, in: Uhu. Das Monatsmagazin. Berlin, 1929 (S. 62-65).