Reverenzen

Halte ich für wesentlich wichtiger als schnöde Referenzen, sie sind nachgerade wesentlich. Eine Aufzählung, in historischer Ordnung.

Reverenza!
Arrigo Boito für Giuseppe Verdi, Falstaff

Edmund und Margarete Mütter, meine Eltern. Weil sie mich meinen Weg, den ich selber noch nicht kennen konnte, gehen ließen und mich darin, so gut sie konnten (und ohne, dass sie immer verstanden, worum es gehen könnte) vorbehaltlos unterstützt haben.

• Alois Gappmaier. Er hat mir als Kaplan von Steyr-Münichholz vorgelebt, dass (unpraktische) Geistesbildung an sich ein Wert ist. Von ihm habe ich gelernt1, wie es geht, sich vor die Menschen2 hinzustellen und ihnen etwas so zu erzählen, dass sie auch zuhören.3

• Heinz Wimmer, ein halbes Jahr mein Blockflötenlehrer. Unaufgeregt grundgütig hat er keinerlei Druck gemacht, außerdem hat er mich – »du hast so große Lippen, ich hab’ ein Instrument für dich« – zum Gradauer Otto gebracht.

• Otto Gradauer. Bei ihm hatte ich erst sechs Jahre Tenorhorn- und dann, ein gutes Jahr, Posaunenunterricht. Das wichtigste, was er mir vermittelt hat, ist, dass es bei der Musik unter allen Umständen darum geht, eine Freude damit zu haben; nur dann kannst du auch Freude bereiten. Außerdem hat er mich bei der Militärmusik untergebracht.

• Irene Doss. Ihr war ich während der Militärmusik als Schüler in der Musikschule Linz zugeteilt, ein Freiplatz. Gewöhnlich nutzten das Kollegen dazu, einen freien Nachmittag zu feiern, und so trat sie einem erstmal grundmürrisch entgegen. Nach der ersten Stunde sagte sie: »Ah, du wüst jå!« und nach der zweiten »Du bist ein Künstler.« Das wusste, in adoleszenter Selbstüberhöhung, bis dahin einzig ich allein. Dann hat sie mit mir gearbeitet, und ich habe, mit Hängen und Würgen, die Aufnahmsprüfung in Graz bestanden.

• Erich Kleinschuster. Ja, schon auch. Immerhin, wenn er auch mit meinem eingeschlagenen Weg nicht das geringste anfangen konnte, so hat er mir doch, als ich das Studium abbrechen wollte, einen Ausweg gewiesen. So konnte ich ein Jahr überspringen, abschließen – und war die ganze Jazzhochschule (ihn auch) los.

• Ewald Oberleitner. Ihn nenne ich als einzigen aus denen, mit denen ich heute noch regelmäßig musizieren darf. Mit seiner gütigen Art hat er mich jeden Freitagvormittag im Anfänger-Ensemble davor bewahrt, angesichts aggressiver musikalischer Ignoranz insbesondere der Hauptfachlehrer in Klassik und Jazz mein eben erst begonnenes Studium wieder hinzuschmeißen. Was für ein wertschätzender Mutmacher!

• Helmut Strobl. Der legendäre Kulturstadtrat von Graz hat mir meine ersten Kompositionsaufträge vermittelt und mich, da ich noch ein junger, unfertiger4 Künstler war, von Anfang an mit dem allergrößten Respekt und Wertschätzung behandelt. Auch später ist er, wann immer es ihm möglich war, daunddort aufgetaucht. Leute wie er fehlen in der Politik.

• Lauren Newton. Große Mentorin und künstlerische Kollegin.

• Angela Krauß. Lehrte mich, dass auch erwachsen(d)en Menschen das Staunen gut ansteht. Große Dichterin.

• Gert Jonke. Zauberhafte Freundschaft in seinen letzten Jahren. Mit ihm im Kaffehaus zu sitzen, sich in völligem Einverständnis anzuschweigen und dabei Essentielles zu verhandeln, war ein tiefer, die Seele erfreuender Genuss. Wir haben aber schon auch geredet, über Musik vor allem (er wollte es so) und sind oftmals gemeinsam aufgetreten. Mutmacher, dass es recht ist, seinem Vogel hinterher zu fliegen.

• Philipp Harnoncourt. Nach der klarerweise einseitigen Begegnung in meinem kurzen Theologiestudium erteilte er mir, Jahrzehnte später, anlässlich seines achtzigsten Geburtstags freihändig einen Kompositionsauftrag. Von da an war es eine wunderbare Freundschaft, die bis heute nachwirkt und anhält.

• Gerd Kühr. Wertschätzender Begleiter nicht nur durch meinen Dissertationsprozess. Du schaffst es nicht, hinter ihm durch eine Tür zu gelangen.

• Andreas Dorschel. Wunderbar kauziger Polyhistor mit der meinigen ähnlicher Freude an gedanklichen Protuberanzen, ohne dass er sich je dabei verliert. Ich durfte ihn im Rahmen meiner Doktorei kennenlernen.

Ich kenne meinen Weg, so wie der Bach den seinen.
Jules Renard

  1. Wahres Lernen erfolgt qua Osmose.
  2. … im katholischen Kontext: die Gemeinde
  3. Einmal habe ich beim Gerngroß in der Pachergasse zwei C120-MusiCassetten gestohlen. Es wollte keine rechte Freude mit dem Diebsgut aufkommen, und schließlich, obwohl eigentlich bereits aus dem Alter heraußen, beichtete ich die Untat. Zusätzlich zu den handelsüblichen Vaterunser und Avemaria legte ich als selbstgewählte Kompensation zweihundert Schilling aufs Ambo der Werktagskirche. Es wird sie wohl der Mesner eingestreift haben, wenn nicht zuvor eine der Blumenfrauen das Geld für die Kirche (oder, unbemerkt, auch für sich selber) gerettet haben. Danach bin ich nie mehr beichten gegangen, es war auch nicht mehr nötig. Wann immer ich, bis zu seinem verfrühten Tod mit kaum sechzig, dem Lois begegnet bin, ist mir im Hintergrund seine ungeheuerliche Mitwisserschaft mitgeschwungen und hat mich – wenn auch von mir selbst unbemerkt – irgendwie befangen gemacht. Im Nachdenken glaube ich mich aber zu erinnern, dass es eh nur 90er-Cassetten waren.
  4. Eine solche Einschätzung hätte ich mir damals aufs energischste verbetten (sic!), also wirklich!