abwesend anwesend

1. Februar 2024

2. Jänner, knapp nach 9. Ich sitze im Zug, will gerade das Telefon wegräumen (es ist auf lautlos gestellt), da sehe ich einen Anruf von Anonym hereinkommen. Da in letzter Zeit vermehrt angebliche Amazon-Mitarbeiter angerufen haben, damit ich ihnen irgendwelche Daten durchgebe, auf dass eine von mir eh nicht bestellte Sendung zu mir gelangen kann, hebe ich nur kurz ab und lege gleich wieder auf; damit hat es sich in aller Regel. Keine halbe Minute später jedoch werde ich von einer österreichischen Mobilnummer angerufen. Ich hebe also ab. »Guten Tag, hier Schwester Rosi von der Volkshilfe. Ich habe heute Ihre Mutter daheim nicht angetroffen. Wissen Sie, wo sie ist?« – Es ist Dienstag, da sollte sie doch ins Tageszentrum, und die Schwester Rosi hat sie also nicht abholen können. Die Wohnung, so Schwester Rosi, schaut unverdächtig aus, die Mama war in keinem Zimmer, der Rollator steht im Gang, kein Hinweis auf einen Unfall also. Aber sie ist weg, verdammt, wo kann sie sein? Wenn sie, nach Betätigen des Notrufarmbandknopfs, von der Rettung geholt worden wäre, hätten sie mich als Erstkontakt (mein Status) doch informiert. Oder ist es erst recht kurz her, dass was passiert ist? Ihr Handy hat sie natürlich nicht mit, und das wird auch nichts mehr, zeitlebens. Ich rufe bei der Rettungszentrale an. Nein, keine Fuhre in der Kochstraße, kein Anruf meiner Mutter. »Aber rufen sie doch in der Rufhilfe-Zentrale in Linz an, die haben alles protokolliert.« (…) »Heute war nichts, nur gestern um 13 Uhr 42, ein Fehlalarm.« Nun, das kennen wir, ausgiebig, aber wo ist sie jetzt gerade, sie ist doch nicht verwirrt, oder hat es heute umgeschlagen und sie kämpft sich durch den Wald zum Lichtblick, straßenrollatorbewehrt!? Also den Hausarzt anrufen, die Ordination ist ja gleich gegenüber, Schleifenmusik freut sich, dass ich angerufen habe, dann schnappt sie ab; siebenmal wähle ich mich ein. Aber he, ich habe ja, ein privates Freundschafts-Privileg, seine Mobilnummer! »Nein, die war nicht da, und auf der Warteliste steht sie auch nicht. Ruf vielleicht doch auch im Spital an.« Auch dort ist sie nicht, weder ambulant, stationär, noch in der Notaufnahmewartezone, und wie hätte sie auch hinkommen können, rettungslos? Also ist es jetzt an der Zeit, bei der Polizei nachzufragen: Wir kommen überein, dass ich mich gegen Mittag noch einmal melde, sollten wir eine Suchanfrage hinausgeben müssen. Ich rufe noch einmal die Schwester Rosi an, vertraue mich ihrer Berufserfahrung an. Wie das bitte noch einmal war – und dann fällt der Groschen: Schwester Rosi war nicht gekommen, um Mama zum Lichtblick abzuholen, sondern eines sozialmedizinisch-anamnetischen Besuchs wegen, die nächsten vierzehn Tage wird Mama täglich zum Blutdruckmessen daheim besucht, weil der Hausarzt mitverfolgen will, wie sich die Halbierung der Dosis eines Medikaments auswirkt, eh eine super Sache. Dass aber just dienstags Mamas wöchentlicher Lichtblick ist, hatten sie nicht intern abgeglichen, und es wäre ja auch wirklich zuviel verlangt. So hat die eine Volkshilfe die Mama abgeholt und eine andere sie hernach gesucht, nicht angetroffen und damit halb Steyr zu Detektiven gemacht, dieweil der Erstkontaktsohn in einer inwendig parallel abzuarbeitenden Checkliste bereits den Partezettel und die weiteren Schritte bis nach dem Begräbnis durchgegangen ist und die Mama, ihrerseits, den zweiten Tag des Neuen Jahres wohlbehütet im Kreis ihrer Greise verbringen durfte, und das ist wirklich ein großes Glück.

Gleich am 3. Jänner hat eine andere Schwester von der Volkshilfe die Mama besucht: Sie war daheim, und eh alles soweit im Rahmen. Schwester Rosi ist dann am Sonntagnachmittag gekommen und hat ihr auch den Blutdruck abgenommen, da wird er wohl oben gewesen sein, denn zu Mittag haben wir, weil’s eh scho wurscht is, geschlemmt, frage nicht, obwohl ja der Mama zeitlebens eigentlich nie nichts geschmeckt hat, das hat sie wie kaum etwas sonst wirklich vollends dem Papa überlassen, dem hat bekanntlich alles immer geschmacket als wie, in dieser wesentlichen Hinsicht ein glücklicher Mensch ganz bis zuletzt.

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