Flughafenträume

30. Oktober 2004

Ich sitze im ICE von Essen nach Wien und blicke in Fahrtrichtung rechts aus dem Fenster. Über Offenbach am Main, aufgefädelt auf einer unsichtbaren Schnur, schweben den Flughafen Frankfurt anfliegende Flugzeuge. Es wirkt, als stünden sie da oben.
Unsere Besuche bei Onkel Hansi und Tante Greti in Rüsselsheim habe ich als besonders attraktiv in Erinnerung. Mamas jüngerer Bruder konstruierte dort die Hinterlichter z.B. für den neuen Opel Ascona, Papas viertes Auto nach der dreistufig aufsteigenden Fiat-Reihe, 850 – 128 – 131. Die aufsteigende und somit den gesellschaftlichen Aufstieg belegende Tendenz wird Außenstehenden erst klar, wenn man die Typennamen ausschreibt, also: Ochtfuchzga (Acht Komma Fünfzig), dann der Hundatochtazwanzga (beginnt bereits mit Hundert, um Häuser besser) und schließlich, familiäre Fiatkrönung, der schweinfurtgrüne Hundatanadreißga. Diese Farbe allerdings (bzw. ihr Name) sollte bereits auf die Herkunftsregion von Auto Nummero Vier verweisen. Schließlich hatte Onkel Hansi ja in Rüsselsheim für Papa das Rücklicht konstruiert.
Deutschland, das hat modern geklungen, und auch Tante Greti (sie war mit Onkel Hansi aus Steyr aussi nach Rüsselsheim) war tatsächlich so modern wie die Frisuren der schlanken Damen, die samstags im Hauptabendprogramm Peter Frankenfeld, Rudi Carrell (seine Show, ein neues Wort für uns, und sein Akzent waren besonders lustig) oder Hans-Joachim Kulenkampff die Getränke oder Kuverts bringen durften. (Im Sachunterricht, der damals Heimatkunde hieß, hatte jedes oberösterreichische Kind gelernt, dass das ganze Land unter dem besonderen Schutz der Frauensteiner Schutzmantelmadonna steht. So hat sich das Kuli also gerichtet: Er wurde 1998 in Frauenstein begraben.)
Wenn wir bei Onkel Hansi und Tante Greti zu Besuch waren, freuten wir uns auf die Aussicht, wenn wir brav waren auf die Aussichtsterrasse des nahen Frankfurter Flughafens zu dürfen. Wenn ich genau schaute, konnte ich die Passagiere aus den Bullaugen der startenden Flieger herüberwinken sehen. Natürlich winkte ich zurück. Ob auch ich einmal fliegen würde?
Beim Heimfahren nach österreich und lange Zeit später, wenn wir durch weites, flaches Land gekommen sind, stellte ich mir vor, wie gut ein Großflughafen in diese Landschaft passen würde. Ich konnte nicht verstehen, wie es gegen so etwas prächtiges wie einen Flugplatz Einwände oder gar Widerstände geben konnte.
Geflogen bin ich das erste Mal schon mit Siebzehn, natürlich von Deutschland nach Amerika (wohin sonst sollte man auch fliegen?). Mit der Stadtkapelle Steyr besuchten wir die Kettering Civic Band in unserer Schwesternstadt im faden Ohio. Leider starteten wir nicht in Frankfurt. Schade, denn in München wusste ich nicht, wo die Besucherterrasse war.

Jahre später stieg ich das erste Mal in FFM um. Ich vergaß aufs Winken.